Die EZB hat ein noch viel größeres Problem als die hohe Inflation

Alles sieht danach aus, als würde die EZB das Inflationsproblem endlich ernst nehmen. Doch ein paar Zinserhöhungen werden dafür nicht reichen. Durch das lange Zögern hat die EZB ihr wertvollstes Gut verspielt.

Die erste Zinserhöhung seit vielen Jahre der EZB im Juli hatte ich noch mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Ich hatte mich gefragt , ob die EZB es wirklich ernst meint. Zu schwammig waren manche Formulierungen in dem Statement gewesen. Nach der jüngsten September-Sitzung mit der Rekordanhebung des Leitzins um 0,75 Prozentpunkte gibt es wenig zu kritisieren. Es lassen sich viele Häkchen machen:

  • Die EZB hat den Leitzins deutlich angehoben
  • Sie hat angekündigt, dass weitere Erhöhungen folgen werden
  • Die Notenbank erkennt an, dass die Inflation noch deutlich länger über ihrem Zielwert bleiben wird
  • Die Experten der EZB haben ihre Inflationsschätzungen deutlich für dieses und nächstes Jahr erhöht. Die Vorhersage für 2023 liegt jetzt bei 5,3 Prozent und nicht mehr bei 3,5 Prozent.

Die EZB scheint also endlich in der Realität angekommen zu sein und signalisiert deutlich, dass sie den Kampf gegen die Inflation aufnehmen will. Wird jetzt also alles gut?

So leicht ist es leider nicht. Denn wir haben es längst nicht mehr nur mit einem „normalen“ Inflationsproblem zu tun: Die Menschen haben das Vertrauen in die EZB verloren. Sie trauen ihr nicht mehr zu, Preisstabilität zu gewährleisten. Die langfristigen Inflationserwartungen der Bürgerinnen und Bürger laufen aus dem Ruder. Sie sind nicht mehr fest verankert.

Die Menschen vertrauen nicht mehr der EZB

Die jüngste Umfrage der EZB liefert ein verheerendes Bild : Demnach erwarten die Menschen im Euroraum für in drei Jahren laut Median (die Hälfte der Befragten haben höhere oder niedrigere Erwartungen) eine Inflationsrate von drei Prozent. Anders als bis zum Frühjahr 2022 sind die langfristigen Inflationserwartungen nicht mehr beim EZB-Ziel von zwei Prozent verankert. Jahrelang lag der Graph fast wie ein Brett auf dieser Linie. Es gab mal ein paar Zuckungen, aber das war es. Im Frühjahr 2022 kam jedoch etwas in Bewegung. Der Graph begann zu klettern.

In den kommenden Quartalen dürften die Erwartungen eher steigen. Denn das arithmetische Mittel der Inflationserwartungen liegt mit fast fünf Prozent merklich über dem Median. Offenbar erwarten mehr Menschen eine deutlich höhere als eine deutlich niedrigere Inflation.

Die Inflation dürfte nicht so schnell sinken

Das Gefährliche daran: Über Lohnverhandlungen und Preiserhöhungen der Unternehmen können die gestiegenen Inflationserwartungen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Die EZB muss dann viel länger gegen die Inflation vorgehen, als wenn die Menschen gelassener auf die nächsten Jahre blicken.

Nur: Schon jetzt ist unsicher, wie lange die EZB ihren harten Kurs fortsetzen wird. Experten schätzen, dass ein Leitzins von knapp vier Prozent nötig ist, um den Preisauftrieb nachhaltig zu bremsen. Doch wer glaubt daran, dass die EZB angesichts von Schuldenbergen und schwachen Wirtschaftsaussichten dazu bereit ist? Momentan gehen die Schätzungen eher dahin, dass es bei etwas über zwei Prozent mit den Zinserhöhungen vorbei ist. Mit anderen Worten: Die EZB kriegt das Inflationsproblem nicht gelöst.

Damit ergibt sich folgendes Szenario: Der EZB gelingt es nicht, dass Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, weil sie nicht entschieden genug gegen die Inflation vorgeht. Ihr gelingt es also nicht, dass System wieder zu verankern – und damit steht plötzlich alles auf dem Spiel. Denn dass die Menschen Papiergeld akzeptieren, funktioniert ja nur, weil alle Beteiligten daraufsetzen, dass die Notenbank den Wert garantiert. Ohne dieses Vertrauen kann das System nicht funktionieren.

Die Brisanz der Lage ist der EZB durchaus bewusst: Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel hat die Probleme klar benannt: „Unsere Währung ist stabil, weil die Menschen darauf vertrauen, dass wir die Kaufkraft erhalten“, sagte sie beim Notenbank-Treffen in Jackson Hole. Die Notenbanken müssten entschlossen gegen die hohe Inflation vorgehen. „Sie müssen sich mit Nachdruck gegen einen Vertrauensverlust der Bürger in unser Geldsystem stemmen.“ Was sonst passiert, scheint klar: Die Menschen wenden sich vom Papiergeld ab und suchen nach Alternativen. 

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