Und wieder ein Wort, das ich nie kennen wollte: Stabilisierung-Rezession

Inflation bekämpfen oder Konjunktur retten? Es scheint, als hätten die Notenbanken ihre Wahl getroffen. Uns steht damit ein hartes Jahr 2023 bevor – mit womöglich tiefgreifenden Folgen.

So manche Wörter musste ich in den letzten Jahren lernen, von denen ich mir wünschen würde, sie wären mir erspart geblieben. Eher harmlos ist der Begriff „Restverteidigung“, die der deutschen Fußballnationalmannschaft in so manchen Partien leider fehlte. Einen ernsteren Hintergrund haben natürlich die ganzen Wörter, die in der Corona-Krise aufkamen: „R-Wert“, „Inzidenzzahlen“, „Mutante“, „Triage“ – auf das Wissen um diese Wörter hätte ich verzichtet.

Angesichts von Wirtschaftskrise und Inflation ist mein Wortschatz wieder gewachsen. Das Wort „Stabilisierungsrezession“ ist neu dazugekommen. Und wieder wünsche ich, ich hätte nie davon hören müssen.

Ich weiß nicht, ob der Ökonom Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa, diesen Begriff erfunden hat. In einem Text von ihm habe ich das Wort „Stabilisierungsrezession“ aber zum ersten Mal gelesen. Er trifft gut, was uns bevorsteht.

Der Begriff bringt auf den Punkt, warum die kommende Rezession anders wird als viele Wirtschaftsabschwünge davor. Bisher war der klassische Ablauf doch so: Die Wirtschaft rutscht in die Krise, die Notenbanken senken die Zinsen, um so die Konjunktur wieder anzukurbeln. Boomt die Wirtschaft und die Preise steigen, heben die Notenbank die Zinsen wieder an, um die Wirtschaft abzukühlen und die Inflation in Zaum zu halten.

Schon die Variante, die wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, war etwas anders. Die Wirtschaft wuchs, die Inflation blieb aber unten – trotz aller Bemühungen der Notenbanken. In Krisen konnten die Notenbanken daher beherzt eingreifen, wie etwa im Corona-Crash.

Inflation und Rezession treffen zusammen

Doch dieses Mal haben wir eine völlig andere Situation: Die Wirtschaft steht an der Schwelle der Rezession – und zwar einer ziemlich heftigen. Die Deutsche Bank erwartet für Deutschland ein Minus von 3,5 Prozent für 2023. Das wäre der drittgrößte Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Unterschied: Dieses Mal gibt es kein Sicherheitsnetz.

Der Grund ist die hohe Inflation, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Die Notenbanken können nicht so einfach wie früher die Zinsen senken und die Geldschleusen öffnen.

Die Notenbanken nehmen daher die Rezession in Kauf. Sie machen keine Anstalten, die Konjunktur aufzufangen, indem sie die Zinsen senken. Im Falle der EZB ginge das auch kaum, da der Leitzins gerade mal bei 1,25 Prozent steht. In den USA provoziert die Fed den Wirtschaftsabschwung sogar durch ihre brutalen Zinsschritte. Wie es scheint, haben die Notenbanken ihre Wahl zwischen Inflationsbekämpfung und Konjunkturstützung getroffen: Um die Inflation zu brechen, muss die Wirtschaft schrumpfen. Das führt uns zu der „Stabilisierungsrezession“.

Konjunktur unter Druck

„Unter einer Stabilisierungsrezession wird ein Wirtschaftsrückgang verstanden, der die Hochinflation bricht. Eine Stabilisierungsrezession wird üblicherweise dadurch ausgelöst, dass die Zentralbank die Zinsen so weit anhebt, das Kredit- und Geldmengenangebot so weit einschränkt, dass es zu einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung kommt“, schreibt Thorsten Polleit in seinem Text. „Das Bruttoinlandsprodukt sinkt, die Firmen bleiben aufgrund ausbleibender Nachfrage auf ihren Erzeugnissen sitzen, einige von ihnen gehen pleite, es gibt Arbeitslosigkeit.“ Das Ziel dieser Rosskur: Die Inflationserwartungen wieder verankern, also den Bürgern den Glauben an stabiles Geld zurückzugeben.

„Die Hochinflation wird man ohne eine Rezession kaum in die Knie zwingen können“, stellt Polleit klar. „Ein Feldzug gegen die Hochinflation wird den Euro-Volkswirtschaften, darüber sollte man sich im Klaren sein, nicht nur eine Stabilisierungsrezession, sondern auch eine tiefgreifende Neuausrichtung ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse abverlangen – eine Bewährungsprobe auch für das politische System.“

Das alles sind keine verlockenden Aussichten. Aber auch wenn es nicht ganz so düster kommen dürfte, steht fest, dass 2023 ein hartes Jahr wird. Deshalb hätte ich mir gewünscht, nie das Wort „Stabilisierungsrezession“ kennengelernt zu haben.

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