Warum klebt sich niemand für die Rente fest?

Es wird ja gerade über viel diskutiert und gestritten. Aber um ein Thema ist es erschreckend ruhig geworden: die Rente. Dabei werden jetzt wichtige Weichen gestellt.

Kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht irgendein Aktivist oder eine Aktivistin auf einer unserer Straßen festklebt, um gegen die Erderwärmung zu protestieren. Ich verstehe zwar nicht ganz, wie Staus dem Klima helfen sollen, aber immerhin: Man spricht über das Thema.

Über das Rentenproblem, auf das wir zusteuern, redet dagegen keiner.

Natürlich ist der Klimawandel eine etwas andere Dimension, keine Frage. Aber irgendwie wundere ich mich schon, warum nur für die Rettung des Klimas protestiert wird, aber nicht für eine Rettung der Rente. Für die Rente klebt sich niemand auf die Straße. Haben die Aktivisten die Hoffnung schon aufgegeben? Das Klima ist noch zu retten, aber die Rente nicht mehr? Oder sagen sie: In 40 Jahren ist der Planet sowieso unbewohnbar, da ist mir die Rente auch egal? Ich weiß es nicht.

atsache ist, dass uns auch bei der Rente die Zeit davonläuft. Die Babyboomer, die in den 60er-Jahren geboren wurden, gehen bald in Rente und noch ist nicht wirklich klar, wie deren Rente (und die Rente aller, die danach noch in Rente gehen) bezahlt werden soll. Denn immer mehr Rentnern stehen immer weniger Beitragszahler gegenüber.

Ich meine, eigentlich ist die Sache relativ klar. Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten:

  • länger arbeiten
  • Beträge erhöhen
  • Rentenniveau senken.

Klar: Toll ist das alles nicht. Das wissen auch die Politiker, weshalb sie sich nicht an eine große Rentenreform trauen und stattdessen Option vier wählen: mehr Steuerzuschüsse.

Der Staat versucht, die Mathematik auszuhebeln

Bis 2025 gilt die „doppelte Haltelinie“. Sie legt fest, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken und der Rentenbeitrag nicht über 20 Prozent vom Brutto steigen darf. Für den Freiburger Rentenexperten Bernd Raffelhüschen ein großer Fehler: „Die ,doppelte Haltelinie‘ ist eine Quadratur des Kreises: Wenn ich weiß, dass ich deutlich mehr alte Menschen von deutlich weniger jungen deutlich länger zu finanzieren habe und wenn ich dann auch das Rentenzugangsalter auf keinen Fall erhöhen möchte, dann ist es unmöglich, mit dem gleichen Beitragssatz von heute das gleiche Leistungsniveau zu finanzieren“, schimpfte Raffelhüschen einmal bei mir im Interview auf meinen Youtube-Kanal . „In der Mathematik sagen wir: Der Freiheitsgrad diese Gleichung ist nur eine Variable: Ich kann unter den Bedingungen von heute entweder mit einem fallenden Rentenniveau fahren oder ich kann die Beiträge steigen lassen, um das heutige Rentenniveau zu halten. Eins von beiden muss ich allerdings machen. Deshalb ist die ,doppelte Haltelinie‘ nichts anderes als die Unmöglichkeit der Mathematik. Es ist völliger Blödsinn zu glauben, dass das geht.“ ( Hier kannst Du Dir das Interview noch mal ansehen )

Möglich wird diese „Unmöglichkeit“ durch Steuerzuschüsse. Dieses Jahr werden voraussichtlich mehr als 84 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen an die Rentenversicherung fließen. Zusammen mit den Beiträgen für Kindererziehungszeiten und die knappschaftliche Rentenversicherung beläuft sich die Summe auf 112 Milliarden Euro. Das ist fast ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen des Bundes – Geld, das der Staat nicht für andere Zwecke verwenden kann, etwa für Investitionen in schnelles Internet, erneuerbare Energien oder ein besseres Schienennetz.

Und in den nächsten Jahren geht es so weiter. Für 2025 sagt der Rentenversicherungsbericht Bundeszuschüsse in Höhe von 94 Milliarden Euro voraus (plus die anderen Posten).

Dieses Jahr wird über die Zukunft der Rente entschieden

Spannend ist, wie es nach 2025 weitergeht. Denn dann läuft die bisherige Regelung aus. „Das BMAS strebt an, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, so dass dieser zügig dieses Jahr im Bundestag beschlossen werden kann“, heißt es beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Was kommen wird, ist noch nicht ganz klar. Der Bundesrechnungshof warnt aber bereits : Bleibt das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, droht für die Jahre 2026 bis 2036 eine Finanzierungslücke von insgesamt 235 Milliarden Euro. Allein im Jahr 2036 müssten zusätzlich rund 44 Milliarden Euro von den Beitrags-Zahlenden und dem Bund, also den Steuerzahlenden, aufgebracht werden. Der Bundesrechnungshof spricht daher von der „Gefahr einer finanziellen Überlastung des Bundes“.

Das sind schlimme Aussichten und deshalb ist jetzt die Zeit, klarzumachen, welche Rente wir wollen und was uns wichtig ist. Sollen immer mehr Steuergelder in die Rente fließen, die dann für andere Zwecke fehlen? Oder ist jetzt die Zeit, das Rentensystem zukunftsfest zu machen – auch wenn dadurch das Rentenniveau sinkt? Ich meine, wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen. Bei der Klimapolitik muss sich was ändern – und bei der Rente auch. Denn es geht um unsere Zukunft und die künftiger Generationen. Beide Systeme kippen bereits.

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